Von JOHANN HÜTHMAIR | Der 10. September gilt als Welttag der Suizidprävention, dazu hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2003 aufgerufen.
Wegen ökonomischer Ausweglosigkeit, ein Restaurantbesitzer beendete sein Leben. Eine Kurzschlusshandlung wegen scheinbarer Beschämung und Ausweglosigkeit von einem Restaurantbesitzer in der Toskana, der die fälligen Raten für Bankkredite nicht mehr bedienen konnte. Weltweit beendeten tausende Bauern das Leben, da ihnen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wurde. Jedoch außer Appelle sind wenig Struktur-Reformen zur Armutsbekämpfung, auch Caritas, Kirchen oder WKO schweigen dazu?
Jährlich erinnern wir uns am 10. September, wie viele selbst das Leben beendeten, oder wir blicken weg, verdrängen es. Insbesondere zu viele Männer in der Mitte der Lebensspanne begehen wegen wirtschaftlicher Umstände Suizid! Manche Femizid erscheinen aus ökonomischer Depression und Beschämung als Konfliktumleitung getriggert, wie ein tragischer Fall in Tirol belegt. Es ist eine Schande für eine gesamte Gesellschaft, wenn die Umgebung die Gestrandeten mit den Sorgen isoliert und alleine lässt. Die Schweiz hingegen scheint wesentlich mehr Schutz als Geltung zu gewähren.
Der tragische Freitod der Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr aus Oberösterreich zeigt uns auch die offensichtliche „wunde Stelle“ hoher Schuldenlast. Die allein gelassen erscheinende Medizinerin klagte in „Die Krone“ wegen Schulden und Privatkonkurs und hatte die Praxis auch geschlossen. Ohne einen Ausweg zu sehen, sie hatte bereits einen Suizidversuch hinter sich und die Betreuer unterschätzten offensichtlich den Schuldendruck und die Angst vor gesellschaftlicher Beschämung, die Befürchtung, den Ärztestand zu verlieren.
Beispiel drei,Vermögensverlust als Familientragödie: Der schwäbische Milliardär Adolf Merckle beging Suizid wegen „Pleite“ mit VW-Aktien. „Die Finanznöte seiner Firmen hätten ihn gebrochen“, sagt seine Familie.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) hat 2011 das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens als Menschenrecht anerkannt. Das schließt jedoch die Mithilfe durch Dritte im EU-Raum aus. Nur die Schweiz hat dazu begründete Ausnahmen geschaffen.
„Der Begriff Suizidalität beschreibt einen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Fantasien, Impulse und Handlungen anhaltend wiederholt oder in krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen.“
Es geht jedoch bei Schuldenlast um eine Panikhandlung mit tödlichem Ausgang, eine von außen wahrgenommene Bedrohung, die in Panik führt. Ein vorübergehender Umstand, der anders verläuft als bei unheilbarer Krankheit. Was ökonomisch gefährdete Unternehmer betrifft, so sind diese oft nur temporär wegen der Angst vor Beschämung aus der Schuldenlast oder Zahlungsstockung in einer suizidalen Depression. Erfahrene Sanierungsbegleiters nehmen diesen ökonomischen Druck der scheinbaren Ausweglosigkeit als Ursache weg, ohne viel über Symptome zu reden. Wenn ein Weg aus der Notlage für den Betroffenen sichtbar wird, schwindet die Suizidalität.
Von Erwin Ringel stammt der Begriff präsuizidales Syndrom (Trias). Bei Patienten konstatierte er diese drei Merkmale:
- Inkohärenz (Einengung): Die Optionen im Leben werden als eingeengt empfunden, bis letztlich ein Suizid verbleibt.
- Aggression: eine verstärkte und gehemmte Aggressivität nach außen, eine Konfliktumleitung.
- Aggressionsumkehr: Flucht: Der Betroffene baut sich eine Scheinwelt auf, mit der Gedanken an eine Lebensbeendigung.
Diese präsuizidalen Syndrome haben in der Abschätzung der Gefahr einer Suizidalität eine Ordnungsfunktion. Es kommt aus Beobachtung in Umfeld von Insolvenz jedoch die Angst vor Beschämung in der Gesellschaft (Stigmatisierung) hinzu. Scham ist ein enormer Stressfaktor.
Das Phänomen der „Dunklen Nacht der Seele“ ist bei einem Schock eines Vermögensverlustes in der Psychologie bekannt. In Würde Arm werden erscheint für das Ego als große Hürde eine enorme kognitive Dissonanz. Entweder es führt zum Erwachen, wenn man der Inkohärenz standhält, oder in die Gefahr von Suizid?
Leider hat die derzeitige und frühere Bundesregierungen wenig in die Prävention und Armutsvermeidung investiert, sondern eher einen Reformstau hohen Ranges generiert.
- a) Die größte Steuerreform aller Zeiten kündigte 2021 der damalige Finanzminister Gernot Blümel an: Es wurde jedoch das Brett nur an der schmalen Seite gesägt. Wenig Reformwille zur Struktur von Armutsbekämpfung erkennbar.
- b) Die österreichische Exekutionsordnung wurde wiederholt reformiert, jedoch vorrangig, wie Gläubiger effizienter an Gestrandete herankommen: Je EURO Zuverdienst über dem Existenzminimum gehen derzeit 70 Cent an die Gläubiger. Es würden 60 Cent für den Schuldner diesem moralisch helfen und motivieren, sich zu engagieren und die Gefahr einer Verzweiflungstat mit Suizid zu verringern.
- c) Auch die Verjährungsfrist derartiger Forderung liegt in Österreich immer noch bei 30 Kalenderjahren (die Schweiz und Deutschland kommen mit zehn Jahren aus).
- d) Ein Paradigmenwechsel steht an: Von Gläubigerschutz zu Gestrandetenhilfe? Ein Survey Feedback in „Soziologie Heute 08.2022“ zeigt die aus Urzeiten stammende „Zeitfresser“ und Disparität der Gläubigerschutzbevorrechtung bei den Insolvenzgerichten auf. Ein Umstand, der auf Reformstau deutet, die Anpassung an die Digitalisierung ist bei den Regierenden scheinbar noch nicht angekommen. Die Sitzordnung der Lobby als „Gläubigerschützer“ zeigt symbolisch die Machtstruktur zulasten der leidgeplagten gestrandeten ehemals Selbstständigen. Es erscheinen die Strukturen im Insolvenzgericht als Gegenteil von Suizidprävention?
Die Kranken- und Pensionskasse der Selbstständigen und Bauern in Österreich (SVS) prüft die Sanierungswürdigkeit Gestrandeter nicht. Diese SVS hat nach 27 Jahren noch immer nicht begriffen, dass seit 1995 eine Restschuldbefreiung natürlicher Personen (Privatkonkurs Verbraucherinsolvenzordnung) eingeführt wurde. Zu § 25 GSVG schrieb das Sozialministerium im Juli 2022:
„Eine gesetzliche Änderung, wonach es zu einer Berücksichtigung der Verlustvorträge bei der Bildung der Beitragsgrundlage gemäß § 25 GSVG kommen soll, ist nicht angedacht.“
Aus Schuldennachlass wird zu versteuernder „Sanierungsgewinn“
Schuldennachlässe von Banken und Gläubiger wegen Uneinbringlichkeit werden von SVS als sogenannter „Sanierungsgewinn“ ohne Anrechnung der Verlustvorträge gewertet. Das widerspricht der international anerkannten Accountingstandards und der Gleichbehandlung unserer Verfassung. Die SVS benimmt sich wie im Milgram-Experiment beschrieben, Verantwortungsverweigerung könnte man es nennen, gänzlich gegen die kaufmännische Vernunft und nimmt so wissentlich die Suizidgefahr von Insolventen in Kauf. Gestrandete können sich oft keinen Anwalt leisten. Manche ehemalige Leistungsträger der Gesellschaft flüchten dann lieber in den Freitod, um der Beschämung zu entgehen. Das Energieembargo und die Corona-Maßnahmen haben viele Selbstständige an den Rand der Existenz gepresst, noch halten die Behörden still.
Anregung: Eine Generalamnestie der Abgabenschulden aus dem Covid-Moratorium zu 90 % auf Antrag des Schuldners zu erlassen, wäre als Suizidprävention und Verringerung der Armutsfalle zu werten. Der SVS die Gläubiger-Simmenrechte bei Insolvenzgerichte kappen (Verordnung), diese stimmen nie zu und prüfen nicht die Sanierungswürdigkeit.
Das Benehmen der Behörden erscheint jedoch derzeit eher gegen den Willen zum „Welttag der Suizidprävention“ gerichtet.
Zum Autor: Dr. Johann Hüthmair, ist em. Sanierungsbegleiter, lebt am Attersee, Oberösterreich
Hinweise:
Gastronom in Italien: voxnews.info/2020/08/24/ristoratore-si-uccide-nel-suo-locale-banca-non-aspettava/
Sadhguru zu Bodenerosion: www.youtube.com/watch?v=oOUluL8YKLk
Schweizer Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG). www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/18890002/index.html%20ge
Die OÖ Polizei dürfte mehr Informationen über deren Schuldenstand der Betroffenen gehabt haben als manche Twitter-Nachrichtenschreiber. Vgl. futurezone.at/digital-life/kellermayr-polizeisprecher-oberoesterreich-unterlassung-twitter-fabian-pimminger/402096948
VW-Aktien Spekulation: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nach-pleite-mit-vw-aktien-adolf-merckle-begeht-selbstmord‑1.383538
Erwin Ringel, Der Selbstmord: Abschluss einer krankhaften psychischen Entwicklung – Eine Untersuchung an 745 geretteten 2017
Dunkle Nacht, GM Wolf mit asiatischer Sichtweise: www.youtube.com/watch?v=w8LZmyAQ6lw
Wider steigende Entropie, Soziologie Heute 2022: www.restart.at/images/PDF/SH0822HuethmairEntropie.pdf
Buch: J. Hüthmair, Restart für Gestrandete – Entschuldung und Turnaround im Schutz der Insolvenzordnung (2. überarbeitete Auflage 2020) www.restart.at