Die postfaschistische Regierungschefin bekennt sich einerseits zum demokratischen Rechtsstaat. Andererseits provoziert sie bei bestimmten Gedenktagen mit fragwürdigen Aussagen. Jüngstes Beispiel: Der Jahrestag eines Nazi-Massakers.

Rom. „Es war ein Blutbad, das zu einer der tiefsten und schmerzhaftesten Wunden für unsere nationale Gemeinschaft wurde: 335 unschuldige Italiener wurden niedergemetzelt, nur weil sie Italiener waren“, erklärte Giorgia Meloni am Gedenktag zum Massaker in den Ardeatinischen Höhlen (Fosse Ardeatine) vor den Toren Roms.

Das Kriegsverbrechen hatte sich am 24. März 1944 ereignet; es handelte sich um eine Vergeltungsaktion der deutschen Besatzer für einen Anschlag italienischer Partisanen, bei dem am Tag zuvor in Rom 33 Angehörige der SS starben. Der deutsche Nazi-Kommandeur Herbert Kappler hatte darauf angeordnet, dass für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener sterben sollten. Am Ende exekutierte die SS noch fünf weitere Opfer – alle wurden durch einen Genickschuss ermordet.

Opposition, Juden und Nachkommen entsetzt

Melonis Aussage hat in der Opposition, in der jüdischen Gemeinschaft und bei den Nachkommen der Ermordeten Empörung ausgelöst. Denn die 335 Italiener waren natürlich nicht umgebracht worden, weil sie Italiener waren, sondern weil sie Partisanen, Antifaschisten oder Juden waren und deshalb im Gefängnis saßen. Am Massenmord waren außerdem auch Italiener als Täter beteiligt: Die Mussolini-Faschisten hatten mitgeholfen, die späteren Opfer auszuwählen.

„Giorgia Meloni hat, bei allem Respekt, Schwachsinn erzählt.“

Michele Sarfatti, Antisemitismusforscher

Auch darüber hat die Regierungschefin kein Wort verloren. Was nicht weiter zu erstaunen vermag: Melonis Partei Fratelli d‘Italia ist eine Nachfolgepartei des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano und hat ihre ideologischen Wurzeln somit in der Mussolini-Zeit.

„Giorgia Meloni hat, bei allem Respekt, Schwachsinn erzählt“, betonte der Historiker und Antisemitismusforscher Michele Sarfatti am Wochenende in der Zeitung „La Stampa“. Und er bringt das Problem ohne Umschweife auf den Punkt: Meloni und ihre Parteigenossen versuchten, zwei Dinge miteinander vereinbaren, die letztlich unvereinbar seien: „Sie regieren mit einer postfaschistischen Partei ein Land, die italienische Republik, die auf dem Antifaschismus beruht“, betont Sarfatti. Das sei nicht möglich. „Eigentlich müsste Meloni eine Wahl treffen: Entweder gibt sie ihr Amt als Regierungschefin auf oder sie verzichtet auf die historischen Wurzeln ihrer Partei.“

Italienische Faschisten und die ewige Zweideutigkeit

Meloni wird, so viel ist klar, weder das eine noch das andere tun. Der Grund dafür ist die ewige Zweideutigkeit, die alle italienischen Postfaschisten kennzeichnet: Zwar wünschen sich die wenigsten von ihnen die Diktatur zurück – auch Meloni betont durchaus glaubwürdig, dass sie keinerlei Sympathien für totalitäre Regimes hege. Aber gleichzeitig können oder wollen sie nicht eingestehen, dass die italienischen Faschisten im Bürgerkrieg gegen die Partisanen auf der falschen Seite gestanden waren.

Das Unvermögen, die Verbrechen der Mussolini-Diktatur einzugestehen, liegt auch daran, dass die Geschichte des Faschismus in Italien nur sehr rudimentär aufgearbeitet worden ist. Historiker Sarfatti gibt Meloni deshalb einen weiteren Rat: „Sie sollte ein gutes Buch zum Thema lesen und nachdenken.“

Was wird Meloni zu Mussolinis Hinrichtung sagen?

Die Regierungschefin wird wohl auch diesen Rat nicht befolgen. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie oder einer ihrer Minister und Parteifreunde den nächsten Fauxpas begeht. Zum Beispiel am kommenden 25. April, dem „Tag der Befreiung“ (vom Nazi-Faschismus). Man darf gespannt sein, was Meloni dann zur Gefangennahme und Hinrichtung Mussolinis durch die Partisanen, der am 25. April gedacht wird, zu sagen haben wird. Senatspräsident Ignazio La Russa, Mitglied der Fratelli d‘Italia und stolzer Besitzer einer Mussolini-Statue, hat bereits angekündigt, dass er an den Festumzügen wohl nicht teilnehmen wird.

Quelle: https://www.rnd.de/politik/italien-wie-giorgia-meloni-die-geschichte-verdreht-JIROTE5OGBCDPD5NAPLTUTVALE.html