Sehr viele der medial veröffentlichten Einschätzungen zur militärischen Situation in der Ukraine beruhen auf Veröffentlichungen des “Institute for the Study of War”. Dabei handelt sich um einen US-amerikanischen “Think Tank”, der offensichtlich mehr am Wohlwollen von Politikern interessiert ist als an der realistischen Darstellung der militärischen Situation.

von Max Erdinger

Wer die hiesigen Mainstream-Medien konsumiert, erfährt in Nebensätzen häufig, daß die gelieferten Nachrichten auf ukrainische Quellen zurückgehen. Die sind aber mindestens so zweifelhaft wie jede andere Quelle, die von Kriegsparteien stammen, egal, um welchen Krieg es dabei geht. Im Krieg stiort die Wahreit bekanntlch zuerst und wird durch Propaganda ersetzt. Daß im kollektiven Westen der Konsum russischer Quellen deutlich erschwert wurde, diente ja nicht dem Zweck, den westlichen Konsumenten vor Kriegspropaganda zu schützen, sondern dazu, mit der eigenen, der westlichen  Propaganda also,  erfolgreicher durchzukommen. Das läuft nach dem Motto: “Du sollst nicht denen Glauben schenken, sondern uns.” Dabei ließe sich Propaganda ganz gut durchschauen von erwachsenen Selberdenkern, aber nur dann, wenn sie den Überblick über die Propaganda aller beteiligten Seiten hätten. Die selbst hergestellte Meinung ist im Krieg aber die am wenigsten erwünschte. Und zwar in jedem Krieg. Im Dritten Reich wurde während des Zweiten Weltkriegs das Hören von “Feindsendern” hart bestraft. Kriegführende Regierungen brauchen keine informierten Bürger, sondern gläubige.

Was nun den Ukrainekrieg angeht, aus dem sich die USA lieber gestern als morgen zurückziehen würden, ist es sicher kein Zufall, daß eine bislang gern genommene Informationsquelle, das “Institute for the Study of War” (ISW), just in diesen Tagen der Medienöffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen wird. Etliche der Informationen, die von dort kamen, scheinen eher analytischem Wunschdenken entsprungen gewesen zu sein, als einer tatsächlichen Faktenlage. Das wäre schon für die “Informiertheit” der Öffentlichkeit schlecht, aber wenn sich Politiker bei ihren Entscheidungen über Waffen- und Hilfslieferungen ebenfalls von den “Informationen” eines solchen “Thunk-Tanks” leiten lassen, dann wird es unnötigerweise lebensgefährlich und auch noch saumäßig teuer.

Die Kritik mehrerer westlicher Militärexperten am ISW hatte sich entzündet an der dortigen Darstellung der militärischen Lage am Dnjepr in der Gegend von Kherson. Das ISW hatte auf grobem Kartenmaterial ukrainische Gebietsgewinne sowohl auf der westlichen als auch auch auf der östlichen Seite des Flusses eingezeichnet, die realiter inexistent sein dürften. Das fragliche Gebiet ist zwar besiedelt, im allgemeinen aber von sumpfiger Natur. Der Sumpf wiederum ist der natürliche Feind schweren Geräts wie Panzer und Artilleriegeschütze welche sind. Tatsächlich dürfte sich dort eigentlich gar kein Militär aufhalten, weder russisches noch ukrainisches, wenn man von ein paar leichtbewaffneten Kämpfern einmal absieht.

Die Kritiker

So beurteilt das neben Nathan Ruser, einem Wissenschaftler am „International Cyber Policy Centre“, und dem Militärexperten Michael Kofman inzwischen auch der Journalist Neil Hauer, der unter anderem für den TV-Sender CNN arbeitet. Hauers Worten zufolge steckt aber nicht nur das  ISW, sondern auch das britische Verteidigungsministerium mit seinen täglichen Geheimdienst-Updates zur Ukraine in einem Dilemma. Letzteres, so Hauer, setze ebenso wie das ISW sinnfreie Spekulationen in die Welt, als handele es sich dabei um Fakten. Das Dilemma: In der Ukraine geht es allerweil nicht richtig “vorwärts”, und zwar weder für die russische noch für die NATO-Seite, offiziell also die ukrainische. Das Ganze ähnelt zur Zeit der festgefahrenen Situation im Ersten Weltkrieg, als sich Frontverläufe über Monate hinweg nicht oder nur kaum veränderten. In der Konsequenz wäre dann auch an der “Medienfront” eigentlich “Saure-Gurken-Zeit”, was naturgemäß schlecht ist für einen militärischen Think-Tank wie das ISW, der davon lebt, in der öffentlichen Wahrnehmung und bei der Presse als Informationsquelle nachgefragt zu sein. Beim ISW verteidigt man sich unterdessen gegen den Vorwurf, aus Gründen der Eigenprofilierung mit Phantasiegeschichten hausieren zu gehen, mit dem Argument, man betriebe schließlich militärische Studien und keine Berichterstattung. Worauf sich die Presse bezöge, seien Analysen und keine aktuellen Zustandsbeschreibungen.