Da das Interview von Roman Protasewitsch im Westen Schlagzeilen macht und als „erzwungen“ bezeichnet wird, werde ich das gesamte Interview in drei Teilen übersetzen. Hier ist Teil 2.
Die Übersetzung des Interviews ist schwierig, weil es kein Transkript gibt. Aber auf YouTube wurde es in Fragen aufgeteilt. Ich werde alle Fragen übersetzen und die Antworten von Protasewitsch mal wörtlich zitieren, mal zusammenfassen. Dabei werde ich immer die Zeitstempel der Frage beifügen, sodass jeder sich das anschauen kann und zum Beispiel Mimik und Körpersprache sehen und für sich entscheiden kann, ob Protasewitsch gezwungen oder natürlich wirkt. Die Übersetzung des ersten Teils finden Sie hier. Die Übersetzung des dritten Teils finden Sie hier.
Im Verlauf dieses zweiten Teils des Interviews merkt man, wie die zunächst leicht angespannte Interview-Situation mehr und mehr zu einem Gespräch, teilweise einer Diskussion wurde. Ich habe hier mehr Passagen wörtlich übersetzt, als im ersten Teil, weil es Passagen sind, die die „Qualitätsmedien“ in ihrer Berichterstattung aus dem Zusammenhang gerissen haben. Daher will ich hier die Möglichkeit geben, diese Teile im Wortlaut und nicht in einer Zusammenfassung zu lesen, damit die Leser sich ein Bild machen können.
Dass es mehr zu einem Gespräch wurde, sieht man auch daran, dass bei den Zeitstempeln jetzt immer öfter Themen stehen und nicht mehr immer die Fragen des Journalisten, wie das im ersten Teil noch der Fall war.
Am Ende des ersten Teils ging es um die Finanzierung der Opposition, das Thema wurde hier weitergeführt
0:31:50 Belsat und staatliche Gelder.
Belsat ist ein vom polnischen Staatsfernsehen betriebener Fernsehsender, der für Weißrussland sendet. Beide Gesprächspartner waren sich einig, dass das ein polnischer Fernsehsender ist.
Der Journalist interessierte sich weiter für die Finanzierung. Belsat sagt offen, dass er vom polnischen Staat finanziert wird. Litauen finanziert Tichanowskaja, was Protasewitsch gerade erklärt hatte. Außerdem hat Protasewitsch gesagt, dass litauische Geschäftsleute Tichanowskaja finanzieren. Der Journalist nannte Beispiele, die öffentlich geworden sind, in denen Geschäftsleute Interesse an weißrussischen Staatsbetrieben hatten, die Milliarden wert waren und es wurde besprochen, wie diese nach einem Regierungswechsel für einige hunderttausend Dollar privatisiert werden könnten. Das Interesse der Geschäftsleute, die Tichanowskaja finanzieren, liegt also auf der Hand.
Aber bei staatlichen Geldern, so der Journalist, müsste es doch Zwischenstationen, also NGOs geben, über die das Geld läuft. Das käme doch nicht direkt von Staaten.
Dem widerspricht Protasewitsch und führt Nexta und das „Weißrussische Haus“ als Beispiele an. Das „Weißrussische Haus“ ist offiziell eine humanitäre Organisation in Warschau, die Weißrussen im Exil unterstützen soll, die aber eine große Rolle in der Opposition spielt. Protasewitsch erzählt, dass das „Weißrussische Haus“ von der polnischen Regierung direkt etwa 50 Millionen Zloty (etwa 12 Millionen Euro) bekommen habe.
Protasewitsch erzählt, dass der polnische Ministerpräsident persönlich vorbei gekommen sei und vermutet, dass es da „wahrscheinlich Korruption“ gibt, dass also eventuell Geld an polnische Politiker zurückfließt.
0:33:06 Wann haben die Staaten genug davon, den weißrussischen Protest zu finanzieren? Immerhin geht das nun schon ein Jahr und die Revolution ist ausgeblieben.
Der Journalist fügt seiner Frage hinzu, dass es auch keine Revolution mehr geben wird, dem stimmt Protasewitsch zu, worauf der Journalist sofort sagt „Ich will Ihnen diese Meinung nicht aufzwingen…“
Protasewitsch unterbricht ihn: „Was heißt hier aufzwingen? Ich sage Ihnen noch mehr: In den letzten Monaten, als es noch alle möglichen Versuche gab, irgendwelche Aktionen zu organisieren, was Viačorka und andere wollten, bin ich mit denen – mit Viačorka – in Konflikt geraten, denn ich habe gesagt: Es ist vorbei, wir haben die Straße nicht. Wir haben sie nicht und bekommen sie auch nicht mehr. Es ist vorbei und es ist dumm, die Leute weiterhin auf die Straßen zu rufen, wenn objektiv gesehen schon keiner mehr kommt. Das ist sinnlos, wir müssen uns auf andere Aufgaben konzentrieren.
Aber dann kam Viačorka und hat gesagt: Roman, Du musst über die Straßen nachdenken. Du musst verstehen: Wenn es keine Straßenproteste gibt, gibt es keine Sanktionen.
Das hat er wörtlich gesagt, das habe ich oft von ihm gehört.“
Der Journalist unterbricht: „Ich dachte, er würde sagen, dann bekommen wir kein Geld mehr.“
Protasewitsch: „Das hängt ja alles miteinander zusammen.“
Journalist: „Und darum musste das Flugueug in Minsk landen.“
Protasewitsch lacht: „Anscheinend. Darum haben sie mich ja in den Urlaub geschickt, weil ich gesagt habe: Das war´s. Wir haben objektiv verloren. Darum wollte ich gehen, die Telegrammkanäle verlassen, ich wollte am liebsten als Pressefotograf von Tichanowskaja arbeiten.„
Journalist: „Wenn Sie, ein junge Mann von 26 Jahren das verstehen, warum verstehen Ihre Kuratoren das nicht?„
0:35:20 Wann kommt der Punkt, an dem es heißt: Genug, es reicht, das alles zu finanzieren?
Protasewitsch: „Es gibt keine Straßenproteste mehr und sie kommen auch nicht wieder. Darum werden die Sanktionen forciert. Sanktionen sind ein Objekt für politischen Druck. Da es nun keine Straßenproteste für irgendwelche politischen Fragen mehr gibt, brauchen sie die Sanktionen, damit die Wirtschaft Weißrusslands schnellstmöglich zusammenbricht. Wenn die Wirtschaft zusammenbricht, gehen die Leute auf die Straße, das werden Hungerrevolten. Das ist eines der Ziele der Sanktionen.“
0:36:30 Versteht Tichanovskaya, dass sie Menschen hungern lassen muss, um ihr Ziel zu erreichen?
Protasewitsch: „Da bin ich mehr als sicher, dass alle das verstehen.“
Journalist: „Jetzt kommt eine schwierige Frage.“
0:36:47 Wie ist Ihre persönliche Einstellung zu Präsident Alexander Lukaschenko?
Protasewitsch: „Ich verheimliche das nicht, ich habe Herrn Lukaschenko viel kritisiert. Ich war der Meinung, dafür gibt es Gründe. Ich war mein Leben lang Journalist, aber je mehr ich in die politische Arbeit gerutscht bin, desto mehr wollte ich da raus. Ich habe verstanden, dass vieles, wofür er kritisiert wurde, nur dazu da war, Druck auf ihn auszuüben. Und – verzeihen Sie den Ausdruck – ich hatte das Gefühl, dass er sich verhält, wie ein Mann mit stählernen Eiern, trotz all dem Druck. Ich will es nicht verschweigen, es gab viele Momente, in denen ich seine Entscheidungen für falsch gehalten habe.„
0:37:52 Haben Sie Respekt vor Alexander Lukaschenko?
Protasewitsch: „Auf jeden Fall.“
Journalist: „Ich gebe es offen zu, ich bin an Ihnen als Person interessiert, darum sitzen wir heute hier.“
0:38:19 An welchen Telegrafenkanälen waren Sie persönlich beteiligt?
Protasewitsch nennt hier Nexta und dessen Ableger.
Stepan Putilo ist ein junger Mann von 22 Jahren, der als der Hauptgründer von Nexta gilt. Nexta war nach allgemeiner Ansicht deren gemeinsames Projekt und der Journalist sagt, dass es aussah, als habe Putilo das Sagen und fragt:
0:38:34 Wie war die Hierarchie der Entscheidungsfindung bei Putilo und Ihnen?
Protasewitsch sagt, dass Putilo allgemein überschätzt wird und dass Putilo keinerlei Entscheidungen trifft. Sogar Nexta wäre nicht Putilos Idee gewesen, sondern die Idee des wesentlich älteren weißrussischen Oppositions-Journalisten Tschudentsow, der inzwischen in Haft sitzt. Die Geschichte habe im Jahr 2015 mit einem Lied angefangen, das Tschudentsow geschrieben und das Putilo übernommen habe. In dem Lied geht es um Fragen aus den 90er Jahren und Protasewitsch fragt:
„Schreibt das ein Junge, der keine 18 Jahre alt ist? Offensichtlich nicht. Tschudentsow hat alles geschrieben und Putilo hat eine Rolle gespielt. Als Tschudentsow verhaftet wurde (im Jahr 2020) habe ich die Arbeit übernommen und schon vor den Protesten habe ich Nexta als mein Baby angesehen.“
0:40:54 Sind alle Abonnenten der destruktiven Telegrammkanälen echt?
Die Antwort von Protasewitsch ist ausführlich und analytisch und zeigt auf, wie viele Nutzer Telegram in Weißrussland hat. Seiner Meinung und seiner Analyse der Zahlen nach waren etwa 500.000 der 2,3 Millionen Abonnenten, die Nexta auf seinem Höhepunkt hatte, „echte“ Weißrussen. Nexta hatte weit mehr russische Abonnenten, sagt Protasewitsch.
0:42:04 Ist Putilo ein Projekt des polnischen Geheimdienstes?
Protasewitsch: „Ob von den polnischen oder nicht, jedenfalls hat er alle Lorbeeren für die Arbeit anderer Leute bekommen. Nexta hat zuerst nur von Werbung gelebt, es gab kein Geld von außen. Später, im Sommer 2020, sind dann interessante Dinge passiert. Die Redaktion von Nexta sollte in die Räume des „Weißrussischen Hauses“ in Warschau, das von Zarembyuk geleitet wird, umziehen. Der Raum war dreckig, vermüllt, nicht renoviert, wir sollten da selber aufräumen.
Ich erinnere mich noch wie heute. Wir standen da, hatten noch nicht entschieden, ob wir dahin umziehen, und da kommt Zarembyuk in den Raum, reibt sich die Hände und sagt: Jungs, ich habe hier ein sehr interessantes gemeinsames Projekt für amerikanisches Geld, lasst uns darüber mal nachdenken!
Wir haben hinter vorgehaltener Hand gelacht, denn wir hatten noch nicht einmal entschieden, ob wir umziehen, da fingen schon die Gespräche über Zuschüsse an.“
Journalist: „War es für die von Vorteil, wenn Sie zu denen umziehen?„
Protasewitsch: „Natürlich. Das „Weißrussische Haus“ zerfiel damals, sie hatten kein Geld. Und heute ist es die führende Organisation, die die ganze weißrussische Agenda kontrolliert.
Der polnische Ministerpräsident hat persönlich 53 Millionen Zloty locker gemacht, um weißrussischen Flüchtlingen zu helfen. Und wissen Sie was das Interessante ist? Das Geld war da und die Klingel hat täglich von morgens um 7 Uhr bis abends um 11 Uhr geläutet, unsere Redaktion saß ja da, aber sie haben nie die Tür aufgemacht. Die Leute wollten Hilfe, aber die Tür blieb zu.
Und als ich mich beschwert habe, wurde mir grob gesagt, ich solle meine Nase nicht in Dinge stecken, die mich nichts angehen, sonst bekäme ich Probleme.“
0:45:12 Wo ist das ganze Geld jetzt?
Protasewitsch lacht: „Das ist eine rhetorische Frage. Nexta war deren Milchkuh. Was war das „Weißrussische Haus“ vorher und was ist es jetzt? Jetzt haben sie ein teures Haus in der besten Gegend von Warschau, mit Konferenzräumen und Räumen, in die niemand rein darf. Was ist da drin? Das ist die Frage. Dabei ist das doch nur eine Organisation für weißrussische Migranten.“
Weiter erzählt er, dass er in das neue Haus nicht einmal reindurfte und dass Zarembyuk Putilo seiner Meinung nach einfach nur als Milchkuh ausnutzt. Der Besuch des polnischen Ministerpräsidenten beim „Weißrussischen Haus“ wurde seinerzeit in den Medien gemeldet, der Journalist erfuhr in diesem Gespräch, dass es nicht Putilo war, der das eingefädelt hatte, sondern Zarembyuk, kaum dass er (den damals schon sehr bekannten Telegramkanal) Nexta überredet hatte, bei ihm einzuziehen.
0:46:30 Zarembyuks Arbeit mit Zuschüssen und Finanzen.
Protasewitsch erzählt weiter, dass Putilo sich dann an Zarembyuk angelehnt hat und dass es dadurch bei Nexta zu internen Konflikten gekommen sei, während das Geld plötzlich reichlich geflossen ist.
0:47:17 Waren es nur polnische Zuschüsse?
Protasewitsch sagt, dazu könne er nichts sagen, er sei „nie auch nur in die Nähe der Finanzen gelassen“ worden.
Aber er geht auf die Pressekonferenz ein, die seine Eltern vor einigen Tagen in Warschau gehalten haben und auf die sich westliche Medien berufen, wenn sie von Folter und von erzwungenen Aussagen sprechen, die Protasewitsch angeblich macht: „Da sitzen meine Eltern und hinter ihnen steht Zarembyuk. Was hat der mit meiner Familie zu tun? Und das alles passiert vor einer großen Wand mit dem Logo des „Weißrussischen Hauses in Warschau.“
Journalist: „Sie nützen ihm?„
Protasewitsch: „Selbstverständlich! Das hat mich wirklich verärgert! Mehr noch: Ich bin sicher, dass es korrupte Verbindungen zwischen der polnischen Regierungspartei PIS und dem „Weißrussischen Haus“ gibt, die Verbindungen sind einfach zu eng. Und jetzt sitzen da meine Eltern vor dem Logo des „Weißrussischen Hauses“ und neben ihnen sitzen Putilo und Zarembyuk.
Was haben die mit mir zu tun? Das ist natürlich eine rhetorische Frage, aber mich hat das schwer beleidigt.“
0:49:59 Eine russische Firma finanzierte das NEXTA-Projekt.
Danach kommt Protasewitsch wieder auf die Finanzierung von Nexta zurück. Der Kanal lebte zunächst nur von Reklame und kleinen Spenden von Unterstützern. Eines Tages habe Putilo ihm gezeigt, dass nun plötzlich regelmäßige Großspenden in Höhe von 3.000 bis 5.000 Euro pro Woche kamen, die von einer russischen Firma aus dem Ural gekommen sind.
Protasewitsch nennt nicht die Namen, aber er erklärt, dass es dabei offenbar um Intrigen im Konkurrenzkampf zweier bekannter russischer Geschäftsleute gegangen sei, die um ein Projekt in Weißrussland gekämpft haben. Und dann kam Putilo und hat von der Redaktion gefordert, bestimmte Informationen, die er von dem Spender über das weißrussische Geschäftsprojekt bekommen hatte, zu veröffentlichen.
0:53:20 NEXTA Life und russische Proteste.
Hier wurde es wieder sehr technisch, denn es Protasewitsch erzählte von inneren Streitereien bei Nexta, ob der Kanal russisch werden sollte, ob man für Russland einen eigenen Kanal eröffnen sollte und so weiter. Er geht dabei auf User-Zahlen und ähnliches ein, aber zur Unterstützung von Nexta für die Navalny-Proteste zu Jahresbeginn kann er nur wenig sagen, da er Nexta im September nach den weißrussischen Protesten verlassen habe. Aber dass Nexta auch die Navalny-Proteste koordiniert hat, ist kein Geheimnis, das konnte man bei denen ja lesen.
Der Journalist geht dann auf die perfekte Koordinierung der Stäbe der Opposition und die Unterstützung für Tichanovskaja ein, die nun bei den europäischen Spitzenpolitikern Dauergast ist, und fragt:
0:55:34 Stecken die Geheimdienste hinter den Stäben?
Protasewitsch: „Ja, stecken sie. Aber selbst ich als einer wichtigsten Kämpfer im Informationskrieg hatte keinen Zugang zu den Besprechungen, bei denen Entscheidungen getroffen wurden. Mir wurden nur meine Aufgaben mitgeteilt.
Man kann ja sehen, dass das die Arbeit von Profis waren. Solche Profis hat die weißrussische Opposition nicht, die hat nur Profis für Geldwäsche.“
Im Internet sind Screenshots von Quittungen aufgetaucht, aus denen hervorgeht, dass Protasewitsch ein Monatsgehalt von 1.250 Euro bekommen hat. Der Journalist fragt, wie es sein kann, dass der Gründer eines erfolgreichen Kanals, der viel Geld verdient, mit so einer Summe abgespeist wird.
0:57:09 Haben Sie für ein Gehalt gearbeitet? Hatten Sie keine Anteile?
Protasewitsch erzählt, dass er immer nur kleine Summen bekommen hat, nur einmal wären es 5.000 Euro pro Monat gewesen, Anteile habe er keine gehabt und nie viel Geld bekommen.
0:58:30 Wo ist das ganze Geld von NEXTA hin?
Darauf geht Protasewitsch zunächst nicht ein, sondern er erzählt von Wachdiensten und Personenschutz, den einige Oppositionelle dann bekommen haben. Das habe mit Zarembyuk angefangen, nachdem er und seine Freundin eine falsche Nachricht an sich selbst mit einer Bombendrohung geschickt haben. Daraufhin hat der polnische Staat ihnen Personenschutz gegeben.
Erst auf Nachfrage sagt er wieder, dass er „nie in die Nähe der Finanzen gelassen“ wurde. Das Geld liege wahrscheinlich auf den Konten von Putilo, über Summen könne er nichts sagen. Protasewitsch hat von Putilo Gehalt bekommen, auch als Nexta noch unabhängig war und zehntausende Euro monatlich mit Reklame verdient hat, sagt er.
1:01:45 Jan Rudik, aus wessen Händen hat er sein Gehalt bekommen?
Rudik ist ein weiterer Kollege der Opposition unter anderem bei Nexta, der laut Protasewitsch auch von Putilo bezahlt wurde.
Die Übersetzung des ersten Teils finden Sie hier. Die Übersetzung des dritten Teils finden Sie hier.
von Anti-Spiegel