Angesichts der Entwicklungen im Osten des Staates der Republik Ukraine, im Donbass, hören wir seit 2014 jeden Tag immer mehr und immer lauter vielerlei unterschiedliche Nachrichten. Eine solche Geschichte taucht in letzter Zeit immer häufiger in den Nachrichten auf – die Geschichte einer bestimmten Schülerin aus Lugansk, Faina Savenkova. Irgendwo im Internet flattert mal der eine, mal der andere schön gestaltete Brief dieses 13-jährigen Mädchens an einen hochrangigen EU-Beamten oder ein Artikel, mal auf Russisch, mal in einer der europäischen Sprachen. Das Mädchen gibt Pressekonferenzen und wird sogar von hochrangigen russischen Beamten wie der „Nummer zwei“ von der Russischen Föderation bei der UNO, Dmitrij Poljanskij, oder dem „Gesicht“ des russischen Außenministeriums, Maria Zacharova, erwähnt. Was für eine Art von Projektmädchen ist sie? Fragen wir sie direkt.

 

Veronika Naidenova: Faina Savenkova – woher sollten wir diesen Namen kennen?

 

Faina Savenkova: Zunächst einmal bin ich Schriftstellerin und Dramatikerin, und erst danach kann man mich wahrscheinlich als öffentliche Person bezeichnen. Das heißt aber nicht, dass die öffentliche Tätigkeit für mich unwichtig ist. Das eine ist einfach etwas, das mir am Herzen liegt, und das andere ist eine Notwendigkeit, von der ich hoffe, dass sie nicht mehr gebraucht wird, wenn der Krieg vorbei ist. Ich habe eine Videobotschaft aufgenommen und Briefe an hochrangige Politiker in der Ukraine und an die UNO geschrieben, damit wir, die Kinder des Donbass, nicht vergessen werden und dass auch wir ein Recht auf Leben haben. Danach wurde ich auf die ukrainische Nazi-Internetseite „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) gesetzt und zur Staatsfeindin erklärt.

 

Veronika Naidenova: Zuerst hast du an den ukrainischen Präsidenten Zelenski geschrieben, aber keine angemessene Antwort von ihm oder seiner Verwaltung oder von einem anderen Minister, Abgeordneten oder Ombudsmann erhalten?

 

Faina Savenkova: Nein, natürlich gab es keine Antwort. Nur der Ombudsmann für Menschenrechte sah sich gezwungen, die Rechtmäßigkeit des Handelns dieser Internetseite zu überprüfen, weil die Geschichte viel Aufmerksamkeit erregte. Ohne diese Aufmerksamkeit von Seiten der Presse und der einfachen Leute hätte es wohl nicht einmal diese Überprüfung gegeben.

 

Veronika Naidenova: Hast du dich an den Ombudsmann für die Rechte von Kindern gewandt? Wie war die Reaktion? (Wenn nicht: warum nicht?)

 

Faina Savenkova: Es gab keine Reaktion. Sie schwiegen einfach, aber nach der Intervention von UNICEF und dem Lärm in der russischen und ukrainischen Presse bemerkte die Ombudsfrau Denisova, dass es eine Internetseite „myrotvorets.center“ (ukr. Friedensstifter) gibt und wandte sich sogar an die Polizei. Das war wahrscheinlich ihr einziger nobler Akt, wenn man bedenkt, wie viele Lügen und Fakes sie danach veröffentlicht hat.

 

Veronika Naidenova: Warum hast du an alle möglichen Staatsoberhäupter geschrieben, aber nicht an den russischen Präsidenten Vladimir Putin?

 

Faina Savenkova: Nun, es ist gar nicht so einfach, dem Präsidenten Russlands zu schreiben. Und wozu auch? Er verteidigt den Donbass bereits jeden Tag. Ich glaube, er weiß genauso gut wie ich, was bei uns los ist. Und ich schreibe nicht nur um der PR willen oder um ihn um etwas zu bitten. Dafür tue ich das alles nicht.

 

Veronika Naidenova: Erst vor zwei Jahren hast du angefangen zu schreiben, und zwar im Alter von 11 Jahren. Aus der Sicht der Autorengemeinschaft bist du nur ein Kind, das gerade das Schreiben gelernt hat und sofort den Anspruch erhebt, genauso ernst genommen zu werden wie andere Autoren, die schon seit Jahren schreiben und veröffentlichen. Du wurdest sofort in den Lugansker Schriftstellerverband aufgenommen, und wenn du deine Preise entgegennimmst, stehst du, ein kleines, zerbrechlich aussehendes Mädchen, auf Bühnen und sitzt bei Symposien neben ziemlich kräftigen, erwachsenen Männern. Angesichts dieses absurden Bildes stellt sich die Frage: Wie ist das zu verstehen?

 

Faina Savenkova: Jeder kann es nehmen, wie er will. Normalerweise bezieht sich diese Meinung nur auf die Kinder anderer Leute, aber wenn das eigene Kind oder Enkelkind das Gleiche tut, werden seine Erfolge sofort zum Anlass für Stolz. Auch hier wird also wahrscheinlich mit zweierlei Maß gemessen. Zumal ich nicht die einzige Kind-Autorin bin. Und es ist ja nicht so, dass ich einfach in die Vereinigung aufgenommen wurde und man anfing mir zu helfen.

 

Meine erste Begegnung mit einem berühmten Schriftsteller hatte ich, als ich 10 Jahre alt war. Ich schrieb an einen Lugansker Autor, der später mein Lehrer wurde, und er lud mich ein, ihn zu treffen. Ich – ein 10-jähriges Mädchen – kam mit meinen Geschichten in ein riesiges Büro und sah einen strengen Mann, der sofort fast alle meine Geschichten ablehnte und nur zwei übrig ließ. Dann schlug er mir vor, ein Theaterstück zu schreiben, das auf der Geschichte „Der Igel der Hoffnung“ basiert, und sagte scherzhaft: „Wenn du in drei Monaten ein Stück schreibst, nehme ich dich in den Schriftstellerverband auf“. Das ist mir gelungen, aber das heißt nicht, dass ich grünes Licht bekommen habe. Kinder als Dramatiker oder Schriftsteller sind in einer kreativen Gesellschaft wirklich schwer zu akzeptieren. Erwachsene mögen nicht wirklich Konkurrenz. Es ist eine Sache, wenn man an einem Wettbewerb teilnimmt, man wird gelobt und wieder vergessen. Etwas anderes ist es, wenn man versucht, sich als gleichberechtigter Erwachsener durchzusetzen. Das ist eine völlig andere Einstellung. Man wird als Erwachsener gefordert und auf die gleiche Weise kritisiert. Nach dem Donezker Science-Fiction-Festival, zu dem ich anstelle meines Lehrers ging, begann ich mich wohl zu fühlen. Und dort traf ich viele Schriftsteller und Alexander Kofman. Ja, es wurde einfacher für mich, aber das bedeutet nicht, dass sich mir alle Türen öffneten. Einige mussten mit großem Aufwand geöffnet werden. Ich kann also nicht sagen, dass mir alles leicht zugefallen ist.

 

Veronika Naidenova: Nochmals, aus der Sicht der erwachsenen Mitglieder der Gesellschaft hat da irgendein Mädchen gerade das Alphabet und die Grammatik gemeistert, und sie wird sofort überall veröffentlicht, ihre Texte werden in verschiedene Sprachen übersetzt, man spricht sogar auf höchster lokaler und internationaler Ebene über sie. Es drängt sich der Schluss auf, dass dieses irgendein Mädchen jemandes Projekt ist, eine Marionette, die jemand aktiv engagiert, um die Aufmerksamkeit abzulenken oder einige Ideen zu fördern, die die Gesellschaft so direkt nicht akzeptieren würde. Sicherlich hast du diese Art von Anschuldigungen schon gehört, und unmittelbar nach deiner letzten Pressekonferenz, die von der russischen FBI (Foundation to Battle Injustice) organisiert wurde, veröffentlichte derselbe „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) einen Artikel über eine Spezialoperation des Kremls mit dem Codenamen „Faina“. Dies setzt voraus, dass die Finanzierung für die in Auftrag gegebenen Veröffentlichungen und Veranstaltungen gesichert ist und dass es einen Kurator gibt.

 

Faina Savenkova: Oh, solche Anschuldigungen finde ich immer toll. Natürlich habe ich sie gehört. Aber es geht nicht einmal darum, dass niemand einen Beweis dafür hat oder haben kann. Manchmal möchte ich einfach nur fragen: „Hey Leute, kann ich jetzt Geld bekommen oder was? Irgendwie zahlt niemand für Veröffentlichungen, außer ein Mal für ein paar Märchen. Nein, wirklich, ich werde etwas finden, wofür ich das Geld ausgeben kann. Nun, mit einer seriösen Finanzierung wird das nicht schwer sein, oder?“ Stattdessen fragt man sich jedes Mal, ob man zu seiner eigenen Buchvorstellung gehen sollte oder ob man darauf verzichten kann. Wenn also jemand mein Kurator sein möchte, soll er mich bitte persönlich anschreiben. Aber im Ernst: Ich habe Meera Terada zufällig getroffen, auch wenn ich gerne eine solche Kuratorin hätte. Vor allem ihre FBI-Stiftung unternimmt jetzt viel, um den „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) auszuschalten und die Hintermänner zu bestrafen. Sie machen keine PR, sie reden nicht unnütz. Sie machen es.

 

Und in den verschiedenen Sprachen werden die Übersetzungen übrigens von meinen Freunden gemacht. So wie sie allgemein auch Artikel veröffentlichen. In der Zeit, in der ich für den Frieden im Donbass kämpfe, habe ich festgestellt, dass es im Westen viele normale Journalisten gibt, die keine Propagandageschichten schreiben, sondern sagen, was sie sehen. Und als ich es ihnen erklärte, begannen sie, mir zu helfen. Es ist ganz einfach. Man muss es nur versuchen.

 

Veronika Naidenova: Und wie werden die Veröffentlichungen deiner Bücher und Briefe finanziert – Redaktion, Übersetzung, Design?

 

Faina Savenkova: Sie werden auf die gleiche Weise finanziert wie bei allen anderen auch. Das Einzige, was mich bisher gerettet hat, ist die kostenlose Übersetzung und Gestaltung durch meine Freunde, sonst gäbe es diese Bücher nicht.

 

Bislang werden alle meine Projekte von meinen Freunden unterstützt: dem Verlag „Rugram“, der bei allem hilft, und einfach von allen, die wollen, dass in unserem Donbass nach dem Krieg Kinderbücher erscheinen.

 

Veronika Naidenova: Dein Co-Autor Alexander Kontorovich ist Autor vieler Sience-Fiction-Bücher zum Thema der Arbeit von Sonderdiensten. In seinem Lebenslauf wird sogar explizit erwähnt, dass er in den Agenturen gearbeitet hat, angeblich vor vielen Jahren. Warum sollte er nicht dein Kurator sein? Er arrangiert Verbindungen zu den richtigen Leuten, wie Meera Terada (Leiterin der Foundation to Battle Injustice) oder Persönlichkeiten aus der Kultur?

 

Faina Savenkova: Es ist sogar lustig, wenn man bedenkt, dass ich ihn Meera vorgestellt habe. So wie auch die meisten Journalisten, mit denen ich zusammenarbeitete. Heißt das, dass ich die Kuratorin von Alexander Kontorovich bin? Und was die Bekanntschaften mit Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich betrifft… Wissen Sie, es wäre wahrscheinlich seltsam, wenn wir nicht einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis unter den Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich hätten. Zumindest, weil wir: 1) beide Autoren, 2) Co-Autoren sind und 3) an denselben Festivals teilnehmen.

 

Veronika Naidenova: Hilft dir jemand, deine Anschreiben inhaltlich zu gestalten? Redigiert oder schreibt vielleicht sogar diese komplett für dich?

 

Faina Savenkova: Ich erkläre hochfeierlich: Für alle Schriftsteller arbeiten die Katzen. Außer für diejenigen, für die Hunde schreiben. Aber mal im Ernst: Einem Schriftsteller zu helfen, Briefe zu schreiben? Es klingt sogar lächerlich. Ja, ich weiß nicht alles, aber einige Details, wenn man sie braucht, kann man leicht im Internet finden. Zum Beispiel die richtige Berufsbezeichnung der Person, an die man sich wendet, oder die Adresse für den Schriftverkehr. Allerdings sind das normalerweise öffentliche Briefe, so dass ich nicht einmal eine Adresse brauche. Man sollte nicht denken, dass Jugendliche im Internet nur Videos von Kätzchen und Spiele-Durchläufen finden können.

 

Veronika Naidenova: Welche Rolle spielt bei all dem deine Familie, deine Eltern, dein Bruder?

 

Faina Savenkova: Sie sind meine Familie. Dies ist ihre einzige Aufgabe. Ich hoffe, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

 

Veronika Naidenova: Wie stehst du zu „myrotvorets.center“ (ukr. Friedensstifter)? Viele sagen, sie hätten Recht. Das Bild ist, dass sie gegen die Russen kämpfen würden, dass das „Friedensstifter Zenter“ so etwas wie Wikileaks sei. Warum bestehst du so sehr darauf, dass es geschlossen wird?

 

Faina Savenkova: Nun, ich habe seit zwei Jahren eine schlechte Einstellung zu dieser Internetseite und ich kann sie eher mit dem KKK als mit WikiLeaks vergleichen. Im Gegensatz zu diesen Kameraden haben Wikileaks und Assange ihr Gesicht nicht versteckt und die Wahrheit über die Ermordung von Zivilisten durch US-Soldaten gesagt. Wenn „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) über die Gräueltaten der Nationalisten und der AFU berichten sollte, dann ok, vergleichen wir es mit WikiLeaks.

 

Alle, die mit „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) zu tun haben, sind verängstigt. Sie geben die Daten anderer, auch die von Kindern, leicht preis, verbergen aber aus banaler Angst ihr eigenes Gesicht. Gewöhnliche Feiglinge, die ihr Land weiter blamieren, indem sie das ganze Wesen des Landes zeigen, leider. Das ruft nur Abscheu und Verachtung hervor.

 

Ich habe schon oft geschrieben und gesagt, dass es mich nicht empört, auf diese Internetseite gestellt zu werden. Was mich empört, ist, dass sie persönliche Daten von mir und den anderen Kindern veröffentlicht haben. Wir wissen nicht, was morgen passieren wird. Vielleicht werden sich all diese Bürger morgen bei Russland entschuldigen, und man wird ihnen verzeihen. Aber unsere Daten, Adressen und Telefonnummern bleiben erhalten. Es sind nicht nur ukrainische Aktivisten unterwegs, sondern auch Scharen von anderen zweifelhaften Persönlichkeiten. Die selben Kinderhändler, andere Kriminelle. Es ist ja auch illegal. Ganz gleich, wie sehr sich „Friedensstifter“ (myrotvorets.center) auch rechtfertigen mag, sie haben gegen das Gesetz verstoßen und tun dies auch weiterhin. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, würde ich all diejenigen, von denen alles auf dieser Welt abhängt, in einem Raum versammeln, ihnen in die Augen schauen und sagen: „Wie finden Sie es, dass Terroristen oder andere Kriminelle die Adressen, Telefonnummern und Dokumente Ihrer Kinder, Enkelkinder und Angehörigen kennen? Dass sie wissen, wo diese sich gerade befinden und mit wem sie sprechen?“ Ich glaube, in 5 Minuten wäre diese Internetseite verschwunden und ihre Besitzer würden im Gefängnis sitzen.

 

Veronika Naidenova: Die russische Gesellschaft betrachtet dieselbe Greta Thunberg als das gut finanzierte und geförderte Projekt von jemandem, der die noch unreifen Köpfe der jungen Menschen in die richtige Richtung beeinflussen und manipulieren wolle. Dies wird sogar regelmäßig von hochrangigen Vertretern in Russland erwähnt. Warum solltest du, vor allem für die westliche Gesellschaft, nicht als gleiches Projekt erscheinen, als ein Mittel der Einflussnahme nach dem gleichen Schema?

 

Faina Savenkova: Ja, im Allgemeinen ist jeder frei zu denken, was er will. Nur beschäftig sich keine Schar von PR-Managern mit mir, und aus irgendeinem Grund lädt mich niemand zu den UN-Sitzungen ein. Greta und ich sind verschieden. Und mir erscheint Samantha Smith näher. Ich glaube nicht, dass Greta einen Unterschied macht. Hat sich in der Umwelt etwas verändert? Sicher, man kann junge Menschen zusammenbringen und an allen wichtigen Orten sprechen. Aber hat sich etwas geändert? Viele Teenager hören nicht mehr auf das, was sie sagt. Sie wird von Erwachsenen nicht wahrgenommen. Übrigens, haben Sie von ihr etwas über den Krieg im Donbass, in Syrien oder in Palästina gehört? Hat der Krieg keine Auswirkungen auf die Umwelt? Zu selektive Sorge um die Umwelt.

 

Veronika Naidenova: Wie wurde der Erste Stellvertreter des Ständigen Vertreters der Russischen Föderation bei der UNO, Dmitrij Poljanskij, der dein Thema im UN-Sicherheitsrat seit letztem Jahr konsequent betreut, auf dich aufmerksam?

 

Faina Savenkova: Wie Sie sicher bemerkt haben, tut Dmitrij Poljanskij viel für den Donbass, wie alle russischen Diplomaten auch. Daher kann man nicht sagen, dass er mich oder mein Thema betreut. Wir lernten uns kennen, als ich einen Appell an den UN-Sicherheitsrat richtete. Damals bat ich meinen amerikanischen Journalistenfreund, meine Videobotschaft in seinem Telegramm zu zeigen. Das hat Poljanskij gesehen und ist nicht gleichgültig geblieben.

 

Veronika Naidenova: Ist euer Verhältnis rein geschäftlich, oder kann man schon von einer Freundschaft sprechen?

 

Faina Savenkova: Er liest mein Telegram und manchmal erscheinen meine Veröffentlichungen bei ihm, ich lese seinen Kanal auf Telegram. Manchmal kann ich ihm schreiben, aber ich weiß nicht, ob er antwortet. Man kann es kaum als eine geschäftliche oder freundschaftliche Beziehung bezeichnen. Aber ich glaube, ich wäre stolz darauf, einen solchen Menschen als Freund zu haben. Aber leider ist er das nicht.

 

Veronika Naidenova: Wie reagiert die ukrainische politische Gesellschaft auf deine Arbeit von Anfang an und im weiteren Verlauf?

 

Faina Savenkova: Eben die offizielle politische Gesellschaft versucht vehement sowohl anfangs wie auch jetzt nichts zu sehen. Was man über Personen des öffentlichen Lebens nicht sagen kann. Vor Russlands Sondereinsatz in der Ukraine gab es viele Menschen in Kiev, die verstanden, dass ein Krieg mit Russland schlecht ist. Sie hielten Zelenskij irgendwie auf. Politiker und Journalisten haben mir geholfen, meine Werke wurden auf Oppositionskanälen gezeigt. Viktor Medvedchuk schrieb mir, dass er, wie ich, keinen Krieg wolle. In der Tat haben viele Menschen darauf reagiert. Dazu gehört auch, dass die Menschen entsetzt waren, dass die Daten eines Kindes auf die Internetseite der Feinde der Ukraine gestellt wurden.

 

Veronika Naidenova: Du schreibst regelmäßig an westliche Kulturvertreter und Beamte. Was willst du damit erreichen und was erreichst du damit?

 

Faina Savenkova: Ich versuche, so viel Aufmerksamkeit wie möglich auf das Thema Donbass zu lenken und die andere Seite dieses Krieges zu zeigen. Die, auf der die normalen Menschen sind, die, auf der ich bin. Die westlichen Medien zeigen das Geschehen meist einseitig, verherrlichen die Ukraine und stellen sie als Opfer einer Aggression dar. Doch das „Opfer“ hat sich selbst als der Aggressor entpuppt, der die Zivilbevölkerung vernichtet. Ich habe also keine Zwischenziele. Ermutigend ist, dass ich Antworten erhalte, auch wenn es sich um eine Formalität handelt und ich nicht genau weiß, an wen ich schreibe. Aber auch solche Antworten bedeuten, dass man die Bewohner des Donbass nicht lange ignorieren kann.

 

Veronika Naidenova: UNICEF hat dir vorgeschlagen, Friedensbotschafterin zu werden. Selbst wenn du nicht von dieser Organisation aus, aber du die Möglichkeit hättest, persönlich vor dem UN-Sicherheitsrat oder anderen offiziellen internationalen Gremien zu sprechen – würdest du das packen?

 

Faina Savenkova: Ich glaube, sie wollten mich einfach loswerden. Ich bezweifle, dass sie sich darauf eingelassen hätten. Ein Kind aus der Volksrepublik Lugansk zur Friedensbotschafterin zu machen käme einer Anerkennung gleich. Ich rechne also nicht damit und spreche eher scherzhaft darüber. Aber ich werde mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass wir wahrgenommen werden. Ich weiß nicht, ob ich das könnte, denn ich mag keine Kameras und keine öffentlichen Auftritte, aber irgendjemand muss es ja tun.

 

Veronika Naidenova: Junge Menschen erhalten mit der Volljährigkeit rechtliches Gewicht – das Wahlrecht usw. Menschen unter dieser Altersgrenze werden von der erwachsenen Gesellschaft nicht ernst genommen, weil Minderjährige sozusagen Narrenfreiheit genießen. Wie kommst du darauf, dass deine Bemühungen nicht als kindisches Geschwätz wahrgenommen werden und dass die mit ihren geopolitischen Streitereien sehr beschäftigten Erwachsenen dir Aufmerksamkeit schenken und dir die ganze Anerkennung zollen werden?

 

Faina Savenkova: Ich kann sagen, dass jedes Wort eine Verantwortung bedeutet. Erwachsene hören einander nicht mehr, und die Stimme eines Kindes wird immer noch von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen wahrgenommen. Deshalb bin ich sicher, dass sie gehört werden wird. Sie ist nicht laut, aber sie ist da.

 

Veronika Naidenova: Wie kriegst du all diese Aktivitäten mit deinem normalen (soweit man das im Rahmen der Militäraktionen im Donbass sagen kann) Kinderleben – Schule, Freunde – unter einen Hut? Hast du überhaupt enge gleichaltrige Freunde? Sind sie „normale“ Kinder oder sind sie auch so kleine Aktivisten?

 

Faina Savenkova: Irgendwie kriege ich es hin. Ich kann nicht behaupten, dass ich viele Freunde unter Gleichaltrigen habe, aber ein paar schon. Jetzt kommunizieren wir mehr über Messenger, selbst wenn wir in der gleichen Stadt sind, da es auf der Straße nicht besonders sicher ist. Die meisten von ihnen sind „normale“ Kinder, aber es gibt auch Aktivisten. Aber ich muss sagen, dass in persönlichen Gesprächen das Thema der Geschehnisse im Donbass immer noch recht häufig zur Sprache kommt und einige ihrer Überzeugungen zum Ausdruck gebracht werden. Es wäre meiner Meinung nach ein großer Fehler zu glauben, dass Kinder nur mit Puppen und Autos spielen können und sich für nichts anderes interessieren. Vor allem Kinder, deren Kindheit ihnen im Wesentlichen genommen wurde.

 

Veronika Naidenova: Wie erlebst und verarbeitest du moralisch und im Prozess der Selbsterkenntnis in dieser Welt all diese großen Bewegungen um deine Person herum?

 

Faina Savenkova: Ich sehe keine besondere Bewegung um meine Person herum, es ist ein trügerischer Eindruck. Ja, das erschöpft, aber hauptsächlich deshalb, weil ich viel schreibe oder Interviews geben muss. Aber so ist das Erwachsenenleben nunmal.

 

Veronika Naidenova: Angesichts dessen, dass du mehr als die Hälfte deines Lebens in einer Situation ständigen Stresses lebst (Angst um dein Leben, deine Lieben und Bekannten, so viel Zerstörung und Tod um dich herum zu sehen), könnte man meinen, dass deine schriftstellerische Tätigkeit eine Art psychologisches Ventil ist. Das Schreiben, z. B. das Führen eines persönlichen Tagebuchs, wird in der Psychotherapie als wirksame Methode zur Bewältigung psychologischer Traumata eingesetzt. Erkennst du bei dir selbst, dass du aufgrund deiner Kindheit im Krieg psychische Traumata oder sogar Neurosen haben könntest? Arbeitest du an ihnen? Alleine oder mit Hilfe von Verwandten oder Fachleuten?

 

Faina Savenkova: Ein Bekannter von mir sagte einmal in einem persönlichen Gespräch: „Eine Kindheit im Krieg ist eine Minus-Kindheit“. Es ist unmöglich, ihm nicht zuzustimmen. Ich denke, es gibt keine schweren psychologischen Traumata, denn als die Kämpfe am heftigsten waren, war ich noch ein Kind. Deshalb ist alles irgendwie leichter zu akzeptieren als bei Erwachsenen. Wichtig ist aber auch, dass keiner meiner Verwandten während des Beschusses ums Leben kam, obwohl es schwierige Situationen und Erinnerungen gab. Andererseits sind sie eher im Gedächtnis der Erwachsenen verankert. Was die Kinder des Donbass von den meisten ihrer Altersgenossen unterscheidet, ist vor allem, dass wir ein wenig älter, vielleicht weiser und moralisch stärker erscheinen. Ja, so sollte es nicht sein, Kinder sollten Kinder bleiben, aber ich bin mir nicht sicher, ob eine Psychotherapie uns die Kindheit zurückbringen könne.

 

Veronika Naidenova: Das Thema Donbass und die Ukraine im Allgemeinen wird noch viele Jahre lang präsent bleiben. Hast du vor, als Erwachsene weiterhin die Rolle des „Kindes des Krieges im Donbass“ zu spielen, oder hast du Ideen (oder sogar schon Pläne) für einen bestimmten Beruf? Wo siehst du dich in 10 Jahren, mit 23?

 

Faina Savenkova: Wie ich bereits sagte, bin ich zuerst Schriftstellerin und erst dann eine öffentliche Person. Wenn jemand meine Arbeit nur als die Rolle eines Kriegskindes sehen will… Nun, das ist sein gutes Recht. Aber ein Kind des Krieges zu sein, ist schließlich kein Beruf. Zumindest nicht für mich. Ich kann nicht sagen, dass ich mich für meinen zukünftigen Beruf entschieden habe, aber ein paar Pläne habe ich schon. Worum es sich dabei handelt, kann ich noch nicht sagen, ich mag nicht über alles im Voraus sprechen.

 

Veronika Naidenova: Würdest du in öffentliche oder sogar staatliche Organisationen gehen?

 

Faina Savenkova: Ich glaube nicht. Ich möchte einfach nur das tun, was ich liebe, ohne viel Trara, in Ruhe und Frieden. Aber wer weiß, wir werden‘s sehen.

 

Veronika Naidenova: Aus welchen Ländern erhältst du Interviewanfragen? Aus welchen Ländern kommen sie am häufigsten? Wie wählst du aus, mit wem du sprichst oder korrespondierst, oder wird es für dich entschieden?

 

Faina Savenkova: Wie kann man für mich entscheiden, mit wem ich korrespondiere und mit wem nicht? Ich wähle selbst… Nun, wahrscheinlich auf der Grundlage persönlicher Sympathien. Irgendwie habe ich nicht einmal darüber nachgedacht. Interviewanfragen kommen aus verschiedenen Ländern, aber am häufigsten aus Russland, Deutschland, Frankreich und Serbien. Und jetzt auch aus den USA.

 

Veronika Naidenova: Ausländischen Journalisten beantwortest du Fragen schriftlich, aber nicht im Videoformat (mit Dolmetschern). Warum?

 

Faina Savenkova: Das ist nicht ganz richtig. Wenn ausländische Journalisten mit mir in derselben Stadt sind und es einen Dolmetscher gibt oder der Journalist gut Russisch kann, nehmen wir das Interview auch als Video auf. Kürzlich gab es ein solches Video-Interview mit englischen und spanischen Journalisten. Es ist nur so, dass die ausländischen Journalisten meistens weit weg sind und mein Internet oft ziemlich langsam, so dass es für mich einfach unbequem ist. Und ich führe auch nicht gerne Interviews zu Hause. Das Zuhause ist ein Ort, an dem man sich entspannen kann und nicht darüber nachdenken muss, wie man das Licht ausrichtet, damit man nicht das Gefühl hat, das Video in einem Keller zu drehen. Aber etwas früher hatte ich Videointerviews mit demselben Chris Roman und Dmitry Babich.

 

Veronika Naidenova: Mit wem würdest du ein Videointerview machen? Was bräuchte man dafür?

 

Faina Savenkova: Ich mag Tucker Carlson, Boris Korchevnikov, Vladimir Solovyov. Natürlich braucht man ihre Zustimmung und ihre Bereitschaft, mir Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Veronika Naidenova: Was werden wir dieses Jahr noch von dir zu sehen oder zu hören bekommen? Hast du etwas für den Rest des Jahres 2022 zu verkünden?

 

Faina Savenkova: Im Bereich Kreativität ist es der neue Roman „Codename Marta“, eine Geschichte über ein Mädchen im Weltraum. Was das öffentliche Leben betrifft… Ich würde gerne Stephen King und Donald Trump schreiben.

 

Veronika Naidenova: Da kommen sofort viele Fragen auf: Warum King (vor allem angesichts des jüngsten Streichs von Vovan und Lexus) und wie kann der in Ungnade gefallene Ex-Präsident der USA Trump dir helfen… ? Aber wahrscheinlich sollte nichts überstürzt werden, und wir werden in naher Zukunft Antworten auf all diese Fragen erhalten. Wir danken dir für deine Offenheit und wünschen dir starke Nerven, damit du deine Ziele so schnell wie möglich erreichst.

 

 

Veronika Naidenova