Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (Foto:Imago)

Deutsche bespitzeln Deutsche, wenn sie sich regierungskritisch äußern? – Eine Verschwörungstheorie! – Wirklich? Ex-„Bild„-Chefredakteur Julian Reichelt hat sich den Verfassungsschutzbericht 2021 genau angesehen und kommt zu dem Ergebnis, daß den Verschwörungstheoretikern allmählich die Verschwörungstheorien ausgehen, weil sich bereits so viele ihrer Theorien als Verschwörungspraktiken herausgestellt haben. Gegen wen? Gegen den eigentlichen Souverän und gegen die Verfassung, die hierzulande Grundgesetz heißt – und vom Verfassungsschutz eigentlich geschützt werden sollte.

Wenn Sie den Eindruck haben, daß die Redefreiheit hierzulande mit immer höheren persönlichen Risiken für den freien Redner belastet wird, und wenn Sie anmerken, daß Sie das immer mehr an das repressive Klima in der DDR erinnert mit seinen Stasi-Spitzeln, die sich nach der Wende oft genug entpuppten als jemand, den der Bespitzelte als seinen Freund betrachtet hatte, dann sind Sie fällig. Das heißt, Sie werden ein Fall für den Verfassungsschutz. Wenn Sie anmerken, daß es der Verfassungsschutz selbst ist, der Sie immer mehr an die Staatssicherheit der DDR erinnert, dann sind Sie erstrecht ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz. Wie das kommt? Es gibt eine neue Abteilung beim Verfassungsschutz, wie der Verfassungsschutzbericht 2021 offenbart. Der Name der Abteilung: „Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Was wäre nun eine solche „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates„?

Die „Delegitimierung des Staates“

Delegitimierung sei, wenn sich in der Kneipe oder in einer Chatgruppe jemand über Staatsversagen beschwert, erklärt Reichelt. Ein Gesetz, in dem „Delegitimierung“ genau definiert wäre, gebe es nicht. Offensichtlich bestimme die Innenministerin nun selbst, was „Delegitimierung“ sein soll. Damit hätte sich dann allerdings die Innenministerin selbst delegitimiert. Behaupten Sie das, sind Sie bereits ein Fall für Verfassungsschutz, vermutlich. Wenn Sie die Politiker kritisieren, die Sie gewählt haben, damit die Ihre Interessen vertreten, dann sind Sie ein Bürger, der – immer dem Verfassungsschutzbericht 2021 zufolge – demokratische Entscheidungsprozesse von Legislative, Exekutive und Judikative lächerlich macht, und Sie „deligitimieren“ auf diese Weise den Staat. Sie werden ein Fall für die Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst, welcher sich noch immer Verfassungsschutz nennt, obwohl er, wenn es doch um die „Delegitimierung des Staates“ geht, viel treffender „Staatssicherheitsschutz“ heißen müsste.

Damit niemand behaupten kann, ich hätte hier einen DDR-Vergleich angestellt: Ein „Ministerium für Staatssicherheit“ (Stasi), wie es das in der DDR gegeben hat, ist etwas ganz anderes als ein „Staatssicherheitsschutz“. Weswegen der ja auch „Verfassungsschutz“ heißt. Trotzdem wäre es besser für Sie, sich die Bemerkung zu verkneifen, das Bundesverfassungsgericht siedle zu nahe an der Regierung, wenn Sie kein Fall für den Geheimdienst werden wollen. Möglicherweise ist inzwischen sogar der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, ins Visier der Abteilung „Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ des Inlandsgeheimdienstes namens „Verfassungsschutz“ geraten. Die „Junge Freiheit“ berichtete vor zwei Tagen von einer Rede Papiers beim Wiesbadener Anwaltsverein, die dort mit viel Applaus bedacht worden sein soll.

DDR-Vergleiche?

Die JF: „Harte Vorwürfe gegen die Politik hat der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, geäußert. Besonders ins Visier nahm der 78jährige die Asyl- und Coronapolitik. Er sehe bei den politischen Entscheidungen im Land eine zunehmende Umgehung geltender Gesetze. Vor den Augen des hessischen Justizministers Roman Poseck (CDU) nahm er die politische Klasse nach allen Regeln der Kunst auseinander. Eingeladen zu Papiers Referat „Mißachtung des Rechts – Wird der Rechtsstaat ausgehöhlt?“ hatte der Wiesbadener Anwaltsverein. Dessen stellvertretender Vorsitzender Ulrich Volk sprach nach der Rede gegenüber dem Wiesbadener Kurier von „starkem Tobak“ und „begeistertem Zuspruch“ unter den teils hochkarätigen Juristen im Publikum.“ – Da wird die „Abteilung Randphänomene …“ vermutlich erweitert werden müssen um die Unterabteilung „Sympathisanten von Randphänomenen …“ – um in der Folge den Wiesbadener Anwaltsverein beobachten zu lassen.

Reichelt: Sie sollten besser nicht sagen, daß Sie der Ansicht sind, die Bevölkerung sei beim Thema Impfpflicht belogen worden. Obwohl das natürlich zuträfe. Selten war so eindeutig nachzuweisen, daß eine Regierung den Souverän belogen hat wie beim Versprechen, daß es niemals eine Impfpflicht geben würde. Evident wurde auf Biegen & Brechen versucht, dennoch eine durchzusetzen. Aber was wäre nun als „verfassungsschutzrelevant“ zu begreifen? Reichelt: „Verfassungsschutzrelevant ist, was laut Verfassungsschutzbericht – Zitat – das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert.“ Als Beispiel nennt Reichelt die Erfahrung von Staatsversagen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal vergangenen Sommer. Daß es sich hierbei um ein Staatsversagen handelte – und noch handelt – kann jeder bezeugen, der damals dort half, und heute sieht, wie es um das Ahrtal fast ein ganzes Jahr später noch immer bestellt ist.

Der Staat lügt nicht

Glasklar ein skandalöser Fall von Staatsversagen, der sehr berechtigt dazu führen kann, das Vertrauen in das staatliche System insgesamt zu erschüttern. Im Klartext: Erst versagt der Staat, und später will er diejenigen vom Staatssicherheitsschutz – Entschuldigung – Verfassungsschutz als „Randphänomen“ beobachten lassen, die das auch so sagen. Mit anderen Worten: Sagen Sie, was Sie aus guten Gründen für wahr halten dürfen – und Sie sind ein Fall für den „Verfassungsschutz“. Das schaukelt sich hoch. Wenn Sie angesichts eines solchen Sachverhalts nämlich auch noch behaupten, der sogenannte Verfassungsschutz sei keiner mehr, sondern selbst ein Verfassungsfeind, der von einem Oberverfassungsschutz beobachtet werden müsste, den es nicht gibt, sind Sie todsicher ein Beobachtungsfall für den „Verfassungsschutz“ des Herrn Thomas Haldenwang. Reichelt spricht von „Nancy Faesers Geheimdienst“. Das Üble daran ist, daß Frau Nancy Faeser gar keinen Geheimdienst zu haben hätte. Es wäre viel besser, wenn sie stattdessen ein verfassungskonformes Demokratieverständnis hätte.

Dennoch wird im Verfassungsschutzbericht 2021 auch die „ungefilterte Verbreitung ideologischer Inhalte“ beklagt. Schief gewickelt wäre, wer glaubt, damit seien die Verlautbarungen der Innenministerin selbst gemeint. Tatsächlich ist es so – Reichelt bezieht sich auf den Messengerdienst „Telegram“ – daß die Regierung resp. die Innenministerin nicht will, daß Sie ungefiltert andere Meinungen zu lesen bekommen. Zitat Verfassungsschutzbericht: „Die Angehörigen des Phänomenbereichs versuchen, das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, in staatliche Institutionen sowie in Wissenschaft und Medien zu untergraben.“ – Verfassungsschutzrelevant ist es also, um das unverschnörkelt auszudrücken, wenn Sie keine Lust mehr haben, sich von offiziellen Stellen und einer vierten Gewalt, die zur vierten Gewaltlosigkeit verkommen ist, Länge mal Breite verarschen zu lassen. In der Praxis bedeutet das, daß der Staatssicherheitsschutz Ihre Telefonate mithören darf, Ihre E-Mails mitlesen darf, daß er sogenannte Quellen, also Spione, in Ihrem Freundeskreis unterbringen darf – und nur, weil Sie Ihre Recht als Bürger wahrnehmen, diesen Staat zu kritisieren. Um den geht es schließlich: Um diesen Staat, nicht um den. In diesem Staat gilt wegen „die Wissenschaft“ auch dogmatisch, daß der Klimawandel ein „menschengemachter“ zu sein hat. Klar, wäre es anders, ergäbe sich auch ein ideologisch weit weniger ergiebiges Feld für doktrinären Politaktivismus. Bestreiten Sie also das offiziell gültige Narrativ von den anthropogenen Ursachen des unbestreitbaren Klimawandels – und Sie sind ein Fall für den Staatssicherheitsschutz.

Die Opposition

Vor dem Hintergrund des absolut unsäglichen Verfassungsschutzberichts 2021, welcher dringend nahelegt, daß der Verfassungsschutz selbst zu einem Beobachtungsfall eines bislang noch inexistenten Oberverfassungsschutzes zu werden hätte, wenn tatsächlich die Verfassung – und nicht dieser Staat – geschützt werden soll, kann man sich dann auch den Blick auf die einzig wahre Oppositionspartei und einen erklecklichen Teil ihrer Funktionäre nicht einfach schenken. Parteifunktionäre, die sich lieber vor einem „Verfassungsschutz“ wegducken wollen, der realiter zu einem Staatssicherheitsschutz geworden ist, können auf gar keinen Fall mehr behaupten, sie begriffen sich als „Alternative“ für Deutschland.

Wer sich als Funktionär der einzig wahren Oppositionspartei angesichts eines Verfassungsschutzberichts 2021 noch immer darum bemüht, „unter dem Radar“ einer solchen verfassungsfeindlichen Behörde zu fliegen, anstatt sie und ihren „Präsidenten“ frontal auf die Hörner zu nehmen, braucht sich über den Nichtwiedereinzug in Länderparlamente und desaströse Stimmenverluste nicht zu beklagen. Das sollte in der AfD jedem klar sein, der die Einigkeit der Partei beschwört. Das geht so weit, daß man sich ernsthaft Gedanken auch über solche Funktionäre machen sollte, die eine solche Einigkeit beschwören. Es ist schlechterdings undenkbar, sich als „Alternative“ einem solcherart pervertierten „Verfassungsschutz“ zu beugen, ohne sich dabei selbst überflüssig zu machen. Das Oppositionellenleben hat gefälligst nicht als Ponyhof begriffen zu werden.

Deutsche Interessen mit Füßen getreten

In diesem Zusammenhang plädiert meinereiner auch ausdrücklich dafür, die weitere Entwicklung bei der Aufdeckung von Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee im eigenen Land sorgfältig zu beobachten und mitzuverfolgen. Da gäbe es nämlich mindestens zwei Funktionäre, einer davon im Gespräch für den Bundesvorstand, von denen eine erneute Stellungnahme zum Massaker von Butscha zu verlangen sein könnte, um nur ein Beispiel zu nennen. Die müsste dann einer bereits bekannten Einlassung gegenübergestellt werden. Es wäre übel, wenn man als Delegierter erkennen müsste, jemanden in den Bundesvorstand gewählt zu haben, der offensichtlich außerstande gewesen ist, seine persönlichen Vorbehalte zugunsten einer objektiven Beurteilung der Lage hintan zu stellen, um im Zweifel lieber zu schweigen, anstatt unhaltbare Anschuldigungen gegen Parteifreunde zu formulieren.

Der Ukrainekrieg wird nicht nur von NATO-affinen Medien begleitet, sondern auch von serbischen, afrikanischen, mittel- und südamerikanischen, indischen, pakistanischen und asiatischen. Was dort bisweilen zu lesen ist, widerspricht den westlichen Medien-Narrativen fundamental. Es wird schon noch herauskommen, was in der Ukraine wirklich passiert, wer dort was genau verbrochen hat – und letztlich dann auch, wer mit seiner Vasallentreue der NATO gegenüber deutsche Interessen mit Füßen getreten hat. Wer deutsche Interessen mit Füßen tritt – Stichwort Sanktionen -, kann unmöglich für sich beanspruchen, Teil einer Alternative für Deutschland zu sein. Die Interessen Deutschlands mit Füßen zu treten, erledigen nämlich schon diejenigen, zu denen er die Alternative zu sein hätte. Das aber nur als Nebenbemerkung zum eigentlichen Thema, einem Staatssicherheitsschutz namens „Verfassungsschutz“ – und einer Innenministerin, die dringend zur „Draußenministerin“ befördert werden müsste, wie der „Verfassungsschutzbericht“ nahelegt.

Quelle: https://ansage.org/experte-verfassungsschutz-ist-beobachtungsfall/