Man sagt, dass es in Russland keine Familie gibt, die nicht auf die eine oder andere Weise vom Krieg mit Nazi-Deutschland 1941-1945 betroffen war. Deshalb hat der Zweite Weltkrieg, wie er weltweit genannt wird, für die Russen den Status des Großen Vaterländischen Krieges.
Man muss zugeben, dass die schwerwiegendsten Folgen dieses Krieges für die Sowjetunion die Verluste an Menschenleben waren. Das Land erlebte eine regelrechte demographische Katastrophe.
Nach offiziellen Angaben des russischen Verteidigungsministeriums lebten Mitte 1941 196,7 Millionen Menschen in der UdSSR. Der Krieg kostete fast 27 Millionen Menschen das Leben. Dazu zählten nicht nur die gefallenen Soldaten, sondern auch die verhungerten Zivilisten, die bei Bombenangriffen, Beschießungen und Strafaktionen umgekommenen Zivilisten, die in Konzentrationslagern erschossenen und gefolterten Kriegsgefangenen sowie die zur Zwangsarbeit getriebenen Arbeiter, Bauern und Angestellten.
Direkt an den Fronten starben 8,6 Millionen Soldaten der Roten Armee und der Marine. Etwa 4,5 Millionen gerieten in Gefangenschaft, nur 1,8 Millionen kehrten in die Heimat zurück.
Unter Berücksichtigung der Verbündeten Deutschlands wird das Verlustverhältnis an der sowjetisch-deutschen Front auf 1,2 bis 1,3 : 1 zugunsten der Deutschen geschätzt. Dabei fallen die größten militärischen Verluste der UdSSR in den Zeitraum 1941-1942, ab 1943 sind die Verluste der sowjetischen Truppen mit denen der deutschen vergleichbar.
Der Zweite Weltkrieg forderte also viele Menschenleben in Deutschland selbst und bei seinen Verbündeten, die in Europa gegen die UdSSR kämpften. Allein die nicht wieder gutzumachenden Verluste beliefen sich auf mehr als 8,5 Millionen Menschen. Die Gesamtverluste der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg belaufen sich auf mehr als 13,5 Millionen Menschen, das sind 75 % der Mobilisierten und 46 % der männlichen Gesamtbevölkerung Deutschlands.
Das bedeutet, dass die in Russland geläufige Redewendung, dieser Krieg habe jede sowjetische Familie getroffen, mit Fug und Recht auch auf die Deutschen angewendet werden kann.
Inzwischen sind 78 Jahre vergangen. In den letzten Jahren hört man immer öfter die Worte von der historischen Versöhnung, denn seitdem sind viele Jahre vergangen, mehrere Generationen sind herangewachsen, die die Vergangenheit nicht kennen und vor allem mit der Vergangenheit nichts zu tun haben.
Aber die Menschen in Deutschland lassen nicht zu, dass die Seiten dieser Geschichte in Vergessenheit geraten, so beschämend sie auch sein mag. Worum geht es? Es ist doch klar: Die heranwachsende Generation darf die Fehler der Vergangenheit nicht vergessen und muss das Land in Zukunft vor ähnlichen Tragödien schützen.
Haben die Deutschen Schuldgefühle? Zweifellos! Der schlimmste Vorwurf ist der des Neonazismus. Wenn es um diesen Krieg geht, spricht fast jeder zweite Deutsche davon, dass seine Eltern oder Großväter unter den Nazis verfolgt wurden. Das mag natürlich übertrieben sein. Aber es deutet darauf hin, dass sich die große Mehrheit der heutigen Deutschen immer noch schuldig fühlt an den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und nicht mit den Nazis in Verbindung gebracht werden will.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es unter der faschistischen Diktatur wirklich mutige Menschen gab, die sie herausgefordert haben. Unter Hitler wurden etwa 500.000 Deutsche umgebracht – die ersten Opfer waren deutsche Antifaschisten.
Meiner Meinung nach darf die Erinnerung an sie nicht in Vergessenheit geraten. Bezeichnend ist das Beispiel der Russen, das sogenannte „Unsterbliche Regiment“. Sie versammeln sich in großen Kolonnen und tragen Porträts ihrer Veteranen. Im Gedenken an sie versammeln sich jedes Jahr am 9. Mai Hunderte und Tausende und ziehen durch die Straßen ihrer Städte.
So feiern sie den Tag des Sieges, der hier ein heiliger Feiertag ist. In Deutschland ist dieser Tag ein ganz normaler Arbeitstag. Erst am Vortag wird der Tag der Befreiung gefeiert. Am 8. Mai 1945 wurde die bedingungslose Kapitulation der Nazis unterzeichnet.
Auch hier wird gefeiert. Mit Blumen ziehen die Menschen in den Treptower Park zum Ehrenmal der sowjetischen Soldaten, um derer zu gedenken, die der braunen Pest“ mit ihrem Leben Einhalt geboten haben. Mehr als 7.000 Soldaten, die an den Kämpfen um Berlin teilgenommen haben, sind hier in einem Massengrab bestattet.
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist im modernen Deutschland nicht verschwunden. Hat sie sich verflüchtigt? Natürlich, ja. Meine persönliche Erfahrung ist, dass junge Deutsche immer mehr den Verdienst der Sieger über den Faschismus den Alliierten zuschreiben. In größerem Umfang – den Vereinigten Staaten, Großbritannien und sogar Frankreich, während sie die Rolle der UdSSR deutlich herunterspielen.
Im Vergleich dazu betrugen die unwiederbringlichen Verluste an Menschenleben in den Hauptländern der Anti-Hitler-Koalition: USA – 405.000, Großbritannien – 375.000, Frankreich – 600.000.
Auch moderne deutsche Historiker versuchen, das Geschehen an der Ostfront nicht zu berühren und nicht an die Millionen ermordeter Bürger der UdSSR zu erinnern. Gleichzeitig beschreiben sie gerne die Befreiung deutscher Länder durch die Alliierten.
Gelegentlich verurteilen deutsche Politiker öffentlich Russland wegen seiner Siegesparaden im Mai, und die Bundeswehr ehrt den „militärischen Ruhm“ der Hitlerzeit – ihre Kasernen tragen die Namen von Soldaten und Kommandeuren der Nazi-Wehrmacht.
Jedenfalls gibt es heute viele Deutsche, die die militärischen Ereignisse jener Jahre richtig verstehen. Und diese Arbeit muss fortgesetzt werden, methodisch und beharrlich, ein politisches Bildungsprogramm, das in Deutschland leider nur wenig durchgeführt wird.