Das orthodoxe Kloster in Buchhagen

Man findet es nicht leicht, und es drängt sich nicht auf. Man muß es suchen und dann zu Fuß einen steilen Forstweg den Berg hinaufwandern, ehe man die angegraute Holzpforte mit der Aufschrift „Weihsitz Buchhagen“ findet. Als Hausgast werde ich freundlich aufgenommen. Auf meinen Wunsch, einen Zeitungsartikel zu schreiben, reagieren die Väter zunächst zurückhaltend. Doch nachdem ich erkläre, für eine kleine Zeitschrift zu schreiben, die aus der DDR- Dissidentenbewegung hervorgegangen ist, gibt es schnell eine offene Diskussion.

 

Orthodoxes Christentum in Deutschland

S’chi-Archimandrit Johannes begann seinen geistigen Weg schon als Jugendlicher. Um Gott zu dienen, studierte er Kirchenmusik in Berlin; nach seiner Konversion zur Orthodoxie dann Byzantinistik und Religionswissenschaften. 1981wurde er Mönch auf dem Athos. Einige Jahre später gaben ihm die dortigen Altväter den Segen zur Gründung eines eigenen Klosters in Deutschland. Besonders Altvater Joseph, damals noch in Kutlumusiu, sah in der Verbindung von Orthodoxie und deutschem Geist einen großen Segen.

Vater Johannes spricht in dem Zusammenhang von einer Erneuerung des ursprünglichen Christentums. Als Experte für byzantinische Geschichte führt er alte Quellen an, wonach in der Frühzeit unter den germanischen Stämmen der orthodoxe Glaube verbreitet war, und die Liturgie in thiudisker (altdeutscher) Sprache gesungen wurde. Erst seit dem 7. Jahrhundert wurden die lateinische Liturgiesprache und die Idee des Papsttums im Westen allgemein durchgesetzt. Seit der Kirchentrennung 1054 galt die östliche Orthodoxie als häretisch. Infolge des 30-jährigen Krieges wurde Deutschland schließlich zwischen römischer und evangelischer Kirche aufgeteilt. Heute sind wieder viele Menschen auf der Suche und entdecken dabei die Orthodoxie.

Rückkehr zu den Wurzeln unter kirchenpolitisch schwierigen Bedingungen

Abt Johannes glaubt, daß die deutsche Seele in der alten rechtehrenden Kirche ihre wahre geistige Heimat finde. Nun sind die orthodoxen Diözesen und Gemeinden in Deutschland entweder russisch, oder bulgarisch, griechisch, rumänisch, arabisch usw. Kann es überhaupt eine deutsche Orthodoxie geben? Abt Johannes antwortet mit einem klaren „Ja“. Es gehe ihm nicht so sehr um Institutionen, sondern um die Praxis des liturgischen und geistigen Lebens. Seit über hundert Jahren gebe es in den russischen Kirchgemeinden auch Deutsche, die den orthodoxen Glauben für sich entdeckt haben, inzwischen auch in den rumänischen und anderen orthodoxen Gemeinden. Und das Kloster in Buchhagen sei der lebendige Beweis, daß die Orthodoxie genau so gut deutsch sein kann, wie sie russisch, griechisch, georgisch oder rumänisch ist.

Das war nicht immer so klar. Als der deutsche Athosmönch im Auftrag seines Mutterklosters den griechischen Metropoliten in Deutschland um Zusammenarbeit zur Gründung des deutschen Klosters bat, lehnte der mit aller Schärfe ab und forderte Vtr. Johannes auf, seine Diözese (die BRD!) zu verlassen. Dem Athos gegenüber verbat er sich jede „Einmischung“ in seinen Herrschaftsbereich. Damit hielt er sich vordergründig an ein Abkommen zwischen den orthodoxen und den westlichen Großkirchen, das seit den 50-er Jahren bestand, und wonach West- und Mitteleuropa den Römern und den Protestanten, die traditionell orthodoxen Länder Osteuropas den Orthodoxen zufielen. Hauptpunkte waren das Verbot des „Proselytismus“, d.h. der Abwerbung von Gläubigen, und eine „ökumenische“ Grundhaltung. Dafür erhielten die Orthodoxen im Westen Geld und Kirchenräume zur Verfügung gestellt.

Dank des geistigen Rückhaltes mehrerer Väter vom Athos wurde das Kloster 1986 trotzdem gegründet, zunächst in Berlin. Daraufhin begann eine massive Kampagne des Ökumenischen Rates gegen die Neugründung; erst ein Gerichtsprozeß machte dem Spuk ein Ende. Als die westlichen Kirchen nach der Wende in den vom Kommunismus extrem geschwächten orthodoxen Ländern mit großen Geldmitteln massive Abwerbung betrieben, wurde jenes Abkommen orthodoxerseits 1992 offiziell aufgekündigt.

Nach Jahren des stillen Aufbaues in Buchhagen wurde das Kloster 1993 auf Initiative des bulgarischen Metropoliten Symeon an die bulgarische orthodoxe Kirche angeschlossen. Patriarch und Heiliger Synod in Sofia erteilten Segen und Kirchenstatut für das „germanski prawoslawen manastir“; Abt Johannes war 2013 sogar bei der Wahl des jetzigen Patriarchen, Sn. Allheiligkeit Neofit, beteiligt. Das Klosterstatut gewährleistet den deutschen nationalen Charakter und weitgehende Eigenständigkeit nach dem Vorbild der Klöster des Heiligen Berges. Der Vorgang entspricht ältester orthodoxer Tradition. Von Anfang an gab es nämlich –innerhalb der einen Kirche– eigenständige Kirchenregionen mit der jeweiligen Volkssprache. Auch die heiligen Slawenapostel Kyrill und Methodius haben diese orthodoxe Tradition im 9. Jahrhundert gegen die im Westen propagierte „Dreisprachenhäresie“ verteidigt.

Das Kloster hat enge und herzliche Beziehungen zur Mutterkirche in Bulgarien, aber auch zu Klöstern auf dem Heiligen Berg Athos und in anderen orthodoxen Ländern. Die Kirchenpolitik Konstantinopels sehen die Buchhagener Väter sehr kritisch, spätestens seit dem Konzil von Kreta. Hinsichtlich der Ukraine und des Donbass liege das Recht eindeutig auf Seiten der Russen.

Leben in Buchhagen

Vater Johannes hatte lange Zeit nach einem Platz für das Kloster gesucht. Buchhagen im Weserbergland überzeugte aufgrund der waldigen Gebirgslandschaft und des Entgegenkommens der Kreisbehörden; das Kloster paßt vorzüglich in das übergeordnete Regionalkonzept. Abt Johannes ist froh, daß er und seine Mitbrüder hier abgeschieden von der Welt leben und sich auf Gebet und Arbeit konzentrieren können. Heute hat das Kloster sieben Bewohner, alle deutsch, davon einer mit schlesisch ostdeutschen und einer mit polnischen Vorfahren.

An einem Sonntag im Dezember 2020 versammeln sich beim Sonntagsgottesdienst mehr als dreißig Menschen in der Krypta. Viele kommen von weit her – Hamburg, Ruhrgebiet, Berlin, Hannover – Deutsche, Russen, Georgier, Rumänen, manche in Mischehen. Einige leben vor Ort; unter den Gemeindegliedern gibt es Familien mit Kindern. Trotz des regnerischen Wetters ist die Stimmung froh und festlich. Nach dem Gottesdienst dürfen die Hausgäste am Essen im Refektorium teilnehmen.

Das Innere des Klosters ist bescheiden, aber stilvoll. Es gibt keine kostbaren Kunstwerke oder teure Ausstattungsstücke, aber auch nichts Häßliches. Und was auffällt: nichts Modernes; das Haus ist ganz im altväterlichen Stil eingerichtet. Die Mönche leben zurückgezogen und arbeiten viel; morgens um 5.00 beginnt der erste Gottesdienst. Ein Kern ihrer Tätigkeit neben dem Gebet sind die Übersetzungen der orthodoxen Liturgie ins Deutsche und die Entwicklung des deutsch-orthodoxen Kirchengesangs. Im Selbstverlag geben die Väter liturgische Bücher und geistliche Schriften heraus. Sie betreiben einen biologischen Gartenbau zur Selbstversorgung und bieten drei Zimmer für Hausgäste an. Das Kloster ist seit 30 Jahren im Aufbau; viele Bauarbeiten machen die Mönche selbst.

Vater Johannes über den Auftrag des Klosters

Unter den 10 orthodoxen Klöstern in Deutschland versteht sich nur Buchhagen ausdrücklich als deutsch-orthodox; die anderen sind russisch, rumänisch oder serbisch; zwei sind multinational ausgerichtet. Der Auftrag des Klosters in Buchhagen wurde 1990 im Stiftungsstatut festgelegt: Erneuerung des christlichen Geistes und der christlichen Kultur Deutschlands aus den Quellen der alten orthodoxen Kirche. Gottesdienstsprache ist das Deutsche, doch werden manche Stücke auch auf Griechisch gesungen.

Als wichtigste Voraussetzung dafür, daß in Deutschland die Inkulturation der Orthodoxie gelingt, nennt Abt Johannes zweierlei: erstens unbedingte Treue zur Heiligen Überlieferung, und zweitens die Liebe zum Deutschen; in beiden müsse man völlig zu Hause sein. Liebe und Treue sind zwei sehr deutsche, aber auch sehr christliche Werte.

Im Westen hat man die Orthodoxie 1000 Jahre lang als etwas Fremdes, als häretisch hingestellt. Das sieht Vater Johannes als großen Fehler. Gerade das orthodoxe Christentum mit seiner lebendigen Mystik und heiligen Schönheit komme dem deutschen Wesen innerlich entgegen. Und der deutsche Geist, der stets den Grund der Dinge zu erspüren suche, sei letztlich auf Erkenntnis Gottes und Einswerdung mit Ihm hin angelegt. Das Kloster soll ein lebendiges Beispiel dafür sein, daß die Orthodoxie nichts anderes ist als die alte ursprüngliche christliche Kirche, und daß sie genauso deutsch sein kann, wie sie russisch, griechisch, rumänisch, arabisch usw. ist. Bei der Übersetzung liturgischer Texte legt er größten Wert auf gutes Deutsch und sakrale Würde der Sprache: „Wir müssen das Deutsche nicht als notwendiges Übel, sondern als heilige Sprache behandeln und in ihrer ganzen geschichtlichen Tiefe und Schönheit verwenden“. Der Kirchengesang des Klosters ist den altkirchlichen Gesangstraditionen nachgebildet, dem byzantinischen, gregorianischen, altslawischen, sowie dem georgischen Kirchengesang. Doch die Melodien werden nicht einfach kopiert, sondern streng von der deutschen Sprache her neu entwickelt.

Goten und der orthodoxe König

Ein weiteres Forschungsgebiet der Buchhagener Väter sind die Goten und ihre Beziehungen zu den Slaven. Den Anstoß gab der Aufenthalt in einem Kloster bei Sofia, das im 4. Jahrhundert von Goten gegründet worden war, und in der neueren bulgarischen Geschichtsforschung eine Rolle spielt. Jahrhunderte vor der Taufe der Rus hatte dieses germanische Volk ein Reich in Skythien, welches zuletzt auf die südliche Krim beschränkt und 1475 von den Türken erobert worden ist. Diese südrussischen Goten waren orthodoxe Christen und mit den Warägern verwandt. Später sind sie dann Ukrainer und Russen geworden. Andere Teile der Goten waren im 5. Jahrhundert vor den Hunnen nach Westen gezogen, wo sie später zu Spaniern, Italienern, Bayern und Südslawen wurden.

Die Klosterbewohner sehen die orthodoxen Goten als frühe Vorläufer einer deutschen Orthodoxie und gedenken ihrer Heiligen im Gottesdienst. Sie gedenken auch des bulgarischen Monarchen Simeon II, des letzten lebenden Königs, der noch nach orthodoxem Ritual gesalbt worden ist, beten „für unsere gottesfürchtigen Könige“ und „für das ganze deutsche Volk und Land“. Die Mönchsgemeinschaft bezeichnen sie als «Heilige Gefolgschaft» – ein Begriff, der im Altslawischen –священная дружина– genau so verwandt worden ist, aber auch an Ritterorden und archaische Kriegerbünde erinnert.

 

 

 

Buchhagen – ein deutsches Heiligtum

Seine Gedanken hat Vater Johannes in dem Buch „Vom Mysterium des Mönchtums“ dargelegt, das 2016 auch in Russland erschienen ist und vom Moskauer Patriarchates ausdrücklich empfohlen wird. Da geht es profunde um das Leben in der Einheit mit Gott, den Weg der Gottesweihe, geistige Unterscheidung und das rechte Maß. Unter den weiteren Büchern des Klosters, die man in dem winzigen Klosterladen erwerben kann, sind die prächtige Ausgabe der Göttlichen Liturgie, kleinere liturgische Bücher und Hefte zum Tagzeitengebet, der Buchhäger Psalter; ein Lehrbuch für Liturgik, das auch an der orthodoxen theologischen Fakultät in München benutzt wird, ein Lehrbuch zum deutsch- orthodoxen Kirchengesang und vieles andere.

Die Väter von Buchhagen sehen ihr Heiligtum als Zufluchtsort des Geistes, wo Himmel und Erde verbunden sind. Sie wollen das Gute, Wahre und Schöne bewahren für die kommende Zeit. Die gegenwärtige sehen sie als Zeit des Niederganges und der Prüfung. Im Kloster sollen nicht die Gesetze der gefallenen Welt gelten, sondern die Gesetze Gottes: Liebe, Wahrheit und Schönheit. Dadurch wird das Kloster ein Zeichen für die Welt. Und wenn genügend Menschen umkehren, wird mit ihnen auch das Volk gerettet werden. Das alles könne aber nur in Freiheit geschehen. Vater Johannes zitiert Maximos den Bekenner: „Die Freiheit ist das Siegel Gottes im Herzen des Menschen.“

Ein 15-jähriger Jugendlicher aus dem Kreis der geistigen Schüler, der inzwischen in Tiflis Kunst studiert, hat ein großformatiges Ölbild des Klosters mit der künftigen Kirche gemalt und nannte es: „Die Gralsburg im Weserbergland“. Während sich ringsum Finsternis türmt, leuchtet der Tempel im goldenen Licht der Morgensonne, links davon ein riesiger Garten; im Vordergrund bauen Mönche und Helfer an einer mächtigen Umfriedung. Derselbe Jugendliche hat damals beim Bau mitgeholfen. Jugendliche Träumerei, oder Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit? Die Buchhagener Mönche nehmen es offenbar ernst, denn das Bild hat einen Ehrenplatz im Refektorium.

 

Spenden für das Kloster

Die Bewohner des Klosters werden oft nach den Mitteln gefragt, von denen ihr Kloster lebt. Die deutschen Großkirchen, römisch-katholisch und evangelisch, gehören zu den wirtschaftlich stärksten Organisationen des Landes und erhalten staatliche Zuschüsse. Auch gibt es in Deutschland eine sogenannte Kirchensteuer. Von solchen Möglichkeiten ist das Dreifaltigkeitskloster weit entfernt; die Mönche nehmen nicht einmal Sozialhilfe in Anspruch. Die Mittel zur Gründung der Klosterstiftung kamen damals von den Mönchen selbst. Einzige Einnahmequelle sind heute Spenden von Privatleuten und der Verkauf der im Kloster verlegten Bücher und Devotionalien.

 

Deutsches Orthodoxes Dreifaltigkeitskloster Buchhagen www.orthodox.de

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